Arbeitsrechtliche Problemstellungen im Zusammenhang mit dem neuen § 20a Infektionsschutzgesetz

Der neue § 20a IfSG hat für die Arbeitsvertragsparteien im Gesundheitswesen ganz weitreichende Folgen. Hier verschaffen wir Ihnen einen Überblick

1. Umfang der Impfpflicht, betroffener Personenkreis

Die neue gesetzliche Vorschrift regelt nur eine mittelbare Impfpflicht, d. h., es wird nicht die Impfpflicht selbst geregelt, sondern die Vorlage entsprechender Nachweise einer Impfung. Stattdessen kann auch ein Genesen-Status nachgewiesen werden.

Der betroffene Personenkreis ist sehr umfangreich. § 20a Abs. 1 S. 1 IfSG führt Kataloge verschiedener Einrichtungen und Tätigkeiten auf, wobei § 20a Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 IfSG eine abschließende Aufstellung der betroffenen Einrichtungen oder Unternehmen enthält (z.B. Krankenhäuser, Arztpraxen, Rettungsdienste etc.), demgegenüber in Ziff. 3 für den ambulanten Bereich Beispielsfälle aufgelistet werden, ohne abschließend zu sein (z.B. ambulante Pflegeeinrichtungen, Beförderungsdienste für ältere, behinderte oder pflegebedürftige Menschen etc.). § 20a Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 IfSG schließt darüber hinaus alle Personen, die in voll-oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftige Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind, mit ein.

Nicht erfasst sind z.B. Kindertagesstätten oder Inklusionsbetriebe.

Betroffen sind Arbeitnehmer, die regelmäßig und über einen längeren Zeitraum, also mehr als einige wenige Minuten (wie z.B. ein Postbote) in der Einrichtung tätig sind, und zwar unabhängig von der Art der Tätigkeit (also auch Verwaltungsmitarbeiter, Mitarbeiter in der Küche oder Reinigungskräfte).

Ausgenommen von der neuen gesetzlichen Regelung sind Personen, die aufgrund einer medizinischen Indikation nicht geimpft werden können, § 20a Abs. 1 S. 2 IfSG.

Die Vorschrift gilt auch ausdrücklich nicht für die in den Einrichtungen oder von den genannten Unternehmen behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen, § 20a Abs. 6 IfSG.

2. Welche Verpflichtungen haben die Arbeitgeber?

Die Arbeitgeber sind – bußgeldbewehrt – zur Kontrolle und Dokumentation der entsprechenden Nachweise verpflichtet. Hier ist zu unterscheiden zwischen den Bestands-Arbeitnehmern und neuen Arbeitnehmern, welche nach dem 15. März 2022 in den unter Abs. 1 S. 1 genannten Einrichtungen tätig werden oder im ambulanten Bereich entsprechende Tätigkeiten ausführen sollen.

Die zum Personalbestand gehörenden Arbeitnehmer haben bis spätestens zum 15. März 2022 der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie nicht geimpft werden können, vorzulegen. Erfolgt eine solche Vorlage innerhalb der genannten Frist nicht oder hat der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit des Nachweises, muss er dies unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, dem zuständigen Gesundheitsamt melden. Dieses kontaktiert dann den betroffenen Arbeitnehmer und fordert ihn entweder auf, den fehlenden Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorzulegen oder, bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Attestes, welches eine medizinische Kontraindikation bezüglich einer Impfung belegen soll, eine ärztliche Untersuchung durchführen zu lassen.

Wird innerhalb der vom Gesundheitsamt gesetzten Frist ein Impf- oder Genesenennachweis oder der Nachweis, dass der Arbeitnehmer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, nicht vorgelegt, oder leistet der Arbeitnehmer der Anordnung einer medizinischen Untersuchung keine Folge, so kann das Gesundheitsamt ein Betretungsverbot bezüglich der betreffenden Einrichtung oder ein Tätigkeitsverbot auferlegen. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung sind diese Maßnahmen nicht zwingend. In der Praxis wird wohl davon auszugehen sein, dass das Gesundheitsamt derartige Verbote regelmäßig verhängen und nur in absoluten Ausnahmefällen und bei Vorliegen ganz besonderer Umstände hiervon Abstand nehmen wird.

Der betroffene Arbeitnehmer kann gegen die Maßnahme des Gesundheitsamts den Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Entsprechende Rechtsmittel (Widerspruch/Klage) haben jedoch keine aufschiebende Wirkung. Für den Arbeitnehmer hat dies zur Folge, dass es grundsätzlich bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung bei dieser Maßnahme bleibt.

Für Neu-Arbeitnehmer, die nach dem 15. März in betroffenen Einrichtungen tätig werden oder entsprechende ambulante Tätigkeiten ausüben wollen, gilt, dass ohne Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines ärztlichen Attests ein sofortiges Beschäftigung-bzw. Tätigkeitsverbot eintritt.

3. Welche Konsequenzen ergeben sich für den Arbeitnehmer?

Da im Arbeitsrecht das Prinzip der Ultima Ratio gilt, wird man im Falle eines Beschäftigungsverbotes auf Seiten des Arbeitgebers zunächst einmal prüfen müssen, ob eine anderweitige Beschäftigung in einem Bereich, der § 20a Infektionsschutzgesetz nicht unterliegt, möglich ist, beispielsweise im Home-Office oder in anderen Arbeitsstätten desselben Arbeitgebers, die von der Vorschrift nicht erfasst sind.

Da in den allermeisten Fällen, insbesondere im Pflegebereich, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehen wird, kann der Arbeitnehmer mit Eintritt des Beschäftigungs- bzw. Tätigkeitsverbots seine Tätigkeit für den Arbeitgeber nicht mehr ausüben. Dies dürfte zur Folge haben, dass ein Anspruch auf Vergütung nicht mehr besteht nach dem Grundsatz: „Kein Lohn ohne Arbeit“. Der Arbeitgeber kann regelmäßig aus seiner Warte nichts dazu beitragen, was zu einer Beseitigung des Verbots führt. Die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers dürfte auch nicht dem allgemeinen Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzuordnen sein. Letztlich hat es der Arbeitnehmer in der Hand, durch Vorlage geeigneter Nachweise – beispielsweise durch Impfung – die Aufhebung der gegen ihn ergriffenen Maßnahmen herbeizuführen. Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung.

Ob die Weigerung des Arbeitnehmers, sich impfen zu lassen (die Erlangung eines Genesenen-Status oder einer Kontraindikation bezüglich der Impfung hat er ja nicht in der Hand), zu weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen führt oder führen kann, ist die Frage.

Eine Abmahnung bedürfte eines arbeitsvertragswidriges Verhaltens. Ob ein solches vorliegt, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht impfen lassen will, dürfte zweifelhaft sein. Denkbar wäre ein Fehlverhalten allenfalls, wenn ein Arbeitnehmer sich jeder Mitwirkung an dem durch § 20a IfSG vorgesehenen Verfahren entzieht.

In Betracht käme unter Umständen eine personenbedingte Kündigung, da der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen (fehlender Impf- bzw. Genesenen-Status) seine Tätigkeit für den Arbeitgeber nicht mehr ausüben kann. Da die einrichtungsbezogene Impfpflicht jedoch derzeit bis zum 31.12.2022 befristet ist, stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit dem Arbeitgeber zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis – ohne Beschäftigung und ohne Entgeltzahlung – zunächst einmal fortzuführen. Auf die arbeitsrechtlichen Verfahren, die im Zusammenhang mit den aufgeworfenen Fragen geführt werden, darf man gespannt sein.

Gunter Bierfelder
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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